Weser-Kurier, Stadtteil-Kurier Mitte/Hasted/östl.Vorstadt 6.3.2003

Weser-Kurier (Stadtteilkurier Mitte) 3. März 2003

" Was geht bei denen im Kopf ab?"

Auch Verkehrspolitik ist Ansichts-Sache: Fotograf Jürgen Nogai von der Bürgerinitiative Rembertiring

Der Rembertiring am Abend, wenn das Weiß der Scheinwerfer ins Rot der Rücklichter taucht und Bremen zur Großstadt wird: Eine Aussicht nach Jürgen Nogais Geschmack. Was ihm missfällt, sind die Aussichten: Noch mehr Lastwagen in seinem Viertel. Für die Bürgerinitiativen Rembertiring und "Keine Stadtautobahn" hat Nogai deshalb eine kostenlose Protestpostkarte mitgestaltet. Unsere Redakteurin Monika Felsing sprach mit dem Architekturfotografen, der auch für andere Ansichtssachen bekannt ist - wie die länglichen Bremenkarten mit den Heringen
Wie kam's zu der Protestkarte?
Jürgen Nogai: Da muss ich ausholen. Als ich mich mit der Bürgerinitiative näher auseinander gesetzt habe, waren das zehn Leute, und ich mit meinen 48 Jahren der Jüngste. Auf den ersten Demos waren 200, 300 Leute, Meine Güte, das kannte ich ja aus meiner Politikzeit, dass der Protest überhaupt nicht erkennbar war. Und da kam der Gedanke auf: Vielleicht muss man das den Politikern um die Ohren hauen, dass sie Volksvertreter sind, dass sie für die Bürger da zu sein haben und nicht für drei, vier, fünf Fuhrunternehmer! Warum sollen Bürger von ihrer Lebensqualität abgeben für so kurzfristig gelagerte wirtschaftliche Interessen?
Ihre persönliche Lebensqualität hat auch mit dem Blick aus Ihrem Fenster zu tun, der Sie an New York erinnert.
Ich bin ein Stadtmensch. Und eine Stadt hat für mich mit Verkehr zu tun, hat mit Dynamik zu tun. Ich habe kein Problem mit den Autos, und Verkehr macht auch Lärm, damit kann ich leben. Aber Güterfernverkehr als Durchgangsverkehr? Lastwagen, die hier durchbrettern, weil's ne Abkürzung ist?! Die Vibrationen, der Dreck - und die Dieselabgase, von denen wir wissen, dass sie krebserregend sind. Für den Profit derer, die relativ wenig Arbeitsplätze schaffen, muss ich mein Leiden nicht sozialisieren lassen
Die Hälfte des Jahres wohnen Sie in den USA. Wie steht es da um die Verkehrsplanung?
In Santa Monica werden die vierspurigen Straßen zum Teil aufgelöst zu zweispurigen mit Radspur, und es funktioniert wunderbar.

Bremen, sagen Sie, kommt Ihnen dagegen vor wie Köln in den siebziger Jahren.
Ich mag diese Stadt sehr, aber sie verliert immer mehr, immer mehr wird zerstört von dem, was urbanes Leben ausmacht, und das tut mir weh. Es ist typisch bremisch, dass wir die Fehler machen, die andere auch gemacht haben :und jetzt wieder beheben. In Bremen wird immer nur kurzfristig gedacht ohne Plan. Denken Sie an Daniel Libeskind; der jetzt das neue World Trade Center in New York entwirft. In den 80er Jahren hat er ein Musicon für Bremen geplant. Das ist nie gebaut worden. Dafür hat man Geld ausgegeben für ein Musicaltheater, das sich nie rentiert hat, und das Zentralbad, eine Institution für die Bürger, reißt man weg.
Dass sich Großprojekte sogar noch in letzter Minute stoppen lassen, hat die Geschichte der Mozarttrasse gezeigt. Bürger haben ihr Viertel vor der Zerstörung gerettet. Und heute, nach 30 Jahren?
Haben Sie die Pläne gesehen? Grausam ist das. Das fragt man sich doch: Was geht bei denen im Kopf ab, die sowas planen? Der Ring kann 24000 Autos am Tag aufnehmen, ein Knie schafft bis zu 40 000 Autos. Und dann die Bebauung! Wie am Breitenweg, hässlich wie die Nacht. Wer will denn an einer vierspurigen Straßenschneise wohnen? Und Büros? Wir haben ja sowieso Büroleerstände. Merken die gar nicht, was sie für soziale Brennpunkte schaffen? Man muss den Politikern sagen: Hey, kommt mal wieder runter von eurem hohen Ross, guckt mal, was wirklich auf der Straße los ist! Die Leute wollen leben.
Wie wollen die Leute leben, was meinen Sie?
Ich will mich nicht hervortun und sagen, ich hätte den Durchblick, aber diese Stadt hat keine Visionen! Anderswo, in London zum Beispiel, wird der Durchgangsverkehr aus den Innenstädten rausgeholt, und hier schafft man sich Trassen. Das ist doch durchgeknallt!
Was für eine Stadt schwebt Ihnen vor?
Eine wohnliche Stadt, keine gemütliche Stube! Ich bin kein Traditionalist.
Auf der Karte steht "... und nicht vergessen: Wir sind das Volk!" Was sollen die Leute mit dem Merkzettel machen?
Ihn sich an den Spiegel heften, im Bad. Die Politiker, damit ihnen jeden Tag deutlich wird, von wem sie gewählt wurden, für wen sie da sind. Und das Volk, damit es sich mehr für seine Belange einsetzt, damit man daran denkt, dass man auch Macht hat. Bei den Wahlen oder indem man unbequem wird. Und die Journalisten, damit sie sich um die Belange des Volkes kümmern.
Und was wünschen Sie dieser Stadt?
Dass sie nicht irgendwann aufwacht aus dem Dornröschenschlaf und feststellt, dass die Zeit an ihr vorbeigegangen ist.

  • Die Initiative Rembertiring ist über Mathias Rotenhan, 327486, zu erreichen


Seine Aussicht auf die belebte Straße schätzt er sehr. Was ihm missfällt, sind die Aussichen: Güterfernverkehr mitten
durch die Stadt. Der Architekturfotograf Jürgen Nogai engangiert sich in der Bürgerinitiative Rembertiring.