die tageszeitung (bremen) 19. Februar 2007

taz, nord, bremen, 19. Februar 2007


Neumeyer sägt sich ein Denkmal
Nächtliches Kettensägenmassaker an der Schwachhauser Heerstraße: Eine Hundertschaft Polizisten drängt Baumschützer zur Seite, 15 Linden enden als Kleinholz. Zwei überleben etwas länger

von Armin Simon

Dieses Mal kamen sie ohne Vorwarnung. Keine Flugblätter, keine Verkehrshinweise, keine Zettel an den Haltestellen. "Umleitung wegen Baumfällarbeiten für die Verbreiterung der Schwachhauser Heerstraße" hätte darauf stehen müssen. Und eine Uhrzeit: Sonntagmorgen von sechs bis zehn Uhr.

Eine Woche ist es her, dass protestierende BremerInnen sich hier als lebende Schutzschilde unter die Bäume stellten, dass die Sägetrupps von Stadtgrün unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten. Diesmal aber schickte die Bürgerinitiative "Keine Stadtautobahn" noch am Abend Protestwillige ins Bett. Erst kurz nach vier Uhr, als die Bremer Straßenbahn AG die Oberleitung abstellt, schlagen die BeobachterInnen Alarm. Eine eigens erstellte Telefonkette jedoch funktioniert nicht, die der Grünen wird erst gar nicht aktiviert. Nur 50 StraßenausbaugegnerInnen steigen aus den Federn - viel zu wenig, um der Polizei wirksam etwas entgegenzustellen. Ganze LKW-Ladungen an Bauzäunen riegeln Straße und Bäume ab, sperren DemonstrantInnen ein und aus, den Rest besorgen Polizeiketten und -kessel.

Drei Hebebühnen gleichzeitig rücken den Linden zu Leib. Motorsägen kreischen, Äste stürzen zu Boden. Das Ende eines Baums dauert zehn Minuten. Traktoren hieven die Brocken davon, Motorgebläse pusten die Sägespäne zur Seite. "Pure Machtdemonstration", sagt Günter Knebel, Sprecher der Bürgerinitiative "Keine Stadtautobahn". Die Polizeikette schiebt sich weiter zum nächsten Baum.

Bausenator Ronald-Mike Neumeyer (CDU) wolle "Fakten schaffen vor der Wahl", ist Knebel überzeugt. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das den Straßenausbau gebilligt hatte, ist noch nicht einmal rechtskräftig, bei der EU eine weitere Klage wegen der Überschreitung der Schadstoffgrenzwerte durch die Autoabgase anhängig. Derzeit sei die Nacht- und Nebel-Fällaktion in jedem Fall "völlig unnötig", sagt Knebel. Denn so lange der Concordia-Tunnel nicht aufgeweitet sei, mache eine breitere Straße keinen Sinn. Der Tunnelausbau allein dauere jedoch mindestens zwei Jahre.

Dort, beim Tunnel, machen sich die Sägetrupps auch über die Bäume auf der stadtauswärtigen Straßenseite her. Der erste fällt nahezu unbemerkt, beim zweiten schon die ersten Äste. Dann eilen, unbeachtet von der Polizei, AnwohnerInnen herbei, bilden eine Kette um den Baum, die Rücken zum Stamm, die Arme ineinandergehakt. "Personenschutz" nennen sie es, für die Linde. Der Stadtgrün-Mitarbeiter mit dem gelben Helm steigt von der Hebebühne, lehnt am Zaun und raucht. Normalerweise sind es kranke Bäume, morsche, die er zu Boden bringt, bevor der nächste Sturm sie knickt, erzählt er. Die Linde aber, der er soeben zu Leibe rücken wollte, ist kerngesund. Eine "für alle Verkehrsteilnehmer schöne Straße" hat Bausenator Neumeyer versprochen. "Ich hab mich auch nicht darum gerissen, hierher zu kommen", sagt der Stadtgrün-Angestellte.

Es ist halb neun, die Kette von Grablichtern auf den Baumstümpfen wird immer länger. Drei Kleinbusse fahren vor, um die Linde bildet sich ein zweiter Kreis, diesmal aus Uniformierten. "Nötigung" sei das, was sie da trieben, wirft ein Polizist den Protestierenden vor, die immer noch den Stamm umzingeln, und dass sie den Platz zwecks Fällung nun räumen müssten. "Wir sind die Baumschützer", schallt es ihm entgegen. Beamte zerren die DemonstrantInnen auseinander, drängen sie zur Seite. Der Stadtgrün-Mann fährt den Steiger hoch, schmeißt die Säge an.

18 Bäume sollten in dieser Nacht fallen, am Morgen stehen noch ganze fünf: drei an der Hollerallee, in einem Vorgarten, der künftigen Abbiegespuren weichen soll. Und zwei an der Schwachhauser Heerstraße, stadteinwärts: Die sind seit fast neun Stunden von zwei Klettererinnen besetzt. Die Polizei hat keine Lust in die Kronen zu steigen, die Sägetrupps von Stadtgrün rücken ab. Als die Baumretterinnen nach unten steigen, brandet Applaus auf. Die Baumfäller nehmen es gelassen: "Wir können auch noch ein drittes Mal kommen." Es dauert keine Stunde, da sind sie wieder da.

taz Nord Nr. 8205 vom 19.2.2007, Seite 24, 137 TAZ-Bericht Armin Simon, Artikel nur in taz-Teilauflage