Weser-Kurier 29. April 2008
Weser - Kurier / Bremer Nachrichten, 29. April 2008
Umweltzone kommt später
Von unserem Redakteur Michael Brandt
BREMEN. Die Verhandlungen mit dem Prädikat "sehr zäh" dauerten gestern bis in den späten Abend. Erneut hat eine Runde von Spitzenpolitikern der rotgrünen Koalition versucht, eine Lösung im Gezerre um die Umweltzone zu finden. Mit am Tisch saßen unter anderem Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne) und Wirtschaftssenator Ralf Nagel (SPD).
Sitzungsbeginn 17.30 Uhr, Sitzungsende nach 22 Uhr. Viereinhalb Stunden hatte die rotgrüne Riege gerungen, ehe sie das Rathaus wieder verließ. Offenbar soll das offizielle Ergebnis der Beratungen heute verkündet werden. Bei dem Tauziehen ging unter anderem um eine zeitliche Verschiebung. So soll die erste Stufe nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, bereits in diesem Jahr, sondern zum 1. Januar 2009 eingeführt werden. Der Zeitpunkt, ab dem dann nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette in die Stadt dürften, soll Mitte 2011 kommen. Die Neustadt bleibt offenbar, auch dies stand zur Debatte, in der Umweltzone. Dafür werde es aber eine Ausnahmeregelung für betroffene Betriebe geben. Wie berichtet, hatten Unternehmen wie InBev und Hachez vehement gegen die Einführung der Umweltzone protestiert. Diskutiert wurde dem Vernehmen nach, die Graf-Moltke-Straße in die Umweltzone aufzunehmen.
Eine gemeinsame Sondersitzung der Deputationen für Verkehr und Umwelt, die in dieser Woche die Eckpfeiler der Umweltzone einschlagen sollte, ist zunächst verschoben worden. Die CDU hatte in einem Brief an Loske angeregt, das Thema erst nach der Sommerpause aufzurufen.
Es geht ums "heilige Blechle", ums Auto. Anders kann sich derweil der BUND nicht erklären, warum bei der quälenden Debatte um die Umweltzone das Thema Gesundheit komplett ausgeklammert worden ist. Die Naturschützer berufen sich auf Zahlen der EU und der Weltgesundheitsorganisation WHO und sagen: 300 bis 500 Menschen sterben in Bremen jährlich vorzeitig - infolge der Feinstaubbelastung.
Georg Wietschorke vom BUND muss angesichts der langen Diskussion feststellen: "Die Gesundheitsfrage ist nachrangig." Das dürfte sie seiner Ansicht nach aber nicht sein. Gefährdungspotenzial besitze der Feinstaub, um den es bei der Umweltzone neben den Stickoxiden vorrangig geht, in ausreichendem Maß. "Es gibt inzwischen mindestens 150 Studien über den Zusammenhang von Feinstaub und Gesundheit." Die Studien gehen zum Beispiel von einem deutlichen Zusammenhang zwischen der Feinstaubbelastung und der Häufigkeit chronischer Atemwegserkrankungen aus. Eines der jüngsten Papiere, das die Befürworter der Schutzzone vorgelegt haben, stammt von H.-Erich Wichmann vom renommierten Helmholtz-Zentrum in München.
Wichmann urteilt darin über die kleinsten Partikel aus den Autoabgasen: "Jede Maßnahme zur Reduktion dieser Belastung ist positiv zu sehen." Hartmut Schurr, Anästhesist im Ruhestand und beim BUND in Bremen aktiv, erklärt, dass die ultrafeinen Teilchen aus der Verbrennung eingeatmet werden und "über die Lunge ins Blut gelangen - das funktioniert erstklassig". Die Folgen sind seiner Ansicht nach ein breites Spektrum an Gesundheitsschäden - unter anderem Entzündungen in den Lungen, Herzrhythmusstörungen, Embolien und Schlaganfälle. Besonders Kinder, deren Organe sich noch entwickelten, zählen laut Schurr zu den Leidtragenden. Schurr ist überzeugt: Der alte Spruch von der Stadtluft, die frei mache, müsse inzwischen abgewandelt werden. "Stadtluft macht krank."
Der BUND übt zusätzlich Kritik an Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD), die sich zu wenig in die Diskussion eingebracht habe. "Ich verstehe nicht, warum sich die Gesundheitssenatorin absolut bedeckt hält", sagt Wietschorke. Deshalb haben die Umweltschützer die Senatorin auch in einem Brief aufgefordert, sich "öffentlich zu positionieren". Rosenkötter jedoch mochte auf Nachfrage auf die Vorwürfe nicht eingehen.