Weser-Kurier 31. Dezember 2008
Weser - Kurier, 31. Dezember 2008, Seite 4
Umweltzone wirbelt Staub auf
Im neuen Jahr gibt es in Bremen und weiteren Städten Fahrverbote /
Kritiker: Bürokratisches Monstrum
Von Norbert Holst
BREMEN. Rot, Gelb, Grün darf rein - der Rest muss draußen bleiben. So lautet bislang die Zufahrtsregel für Umweltzonen in Deutschland. Doch diese einfache Farbenlehre ist bald hinfällig. Die Zahl der Umweltzonen in Deutschland wächst. Die Zahl unterschiedlicher Regelungen auch.
n Bremen beginnt mit dem Stichtag 1.1.2009 die neue Farbenlehre für Autofahrer, Hannover zieht zeitgleich Fahrzeuge mit roter Plakette aus dem Innenstadt-Verkehr. In Stuttgart hingegen dürfen die "Roten" bis 2012 kreuz und quer durch die Stadt fahren. Von einem "Chaos" bei den Ausnahmegenehmigungen für die Umweltzonen spricht zudem der Automobilclub von Deutschland (AvD). So kostet eine Ausnahmegenehmigung in Köln maximal 75 Euro, in Berlin hingegen kann die Gebühr im Extremfall bis zu 1000 Euro betragen.
Bundesweit gibt es in 24 Städten Umweltzonen, acht kommen mit dem neuen Jahr hinzu, weitere sind in Planung. "Falsche Wege gegen echte Probleme", klagt der ADAC. Ulrich Klaus Becker, Vizepräsident für Verkehr: "Fahrverbote sind keine Antwort auf die Feinstaub-Problematik." Kritiker monieren das "bürokratische Monstrum", das die Plaketten heraufbeschworen haben. Schließlich müssen zahllose Detailfragen für Anwohner und Besucher der Umweltzonen geklärt werden, sofern deren Auto "ohne" ist: Was ist mit der privaten Pflege von Angehörigen, wenn die zu pflegende Person in der Umweltzone wohnt? Wie verhält es sich mit dem Transport der Kinder, wenn deren Musikschule im reglementierten Gebiet liegt? In jeder Großstadt müssen solche Fragen tausendfach beantragt, geprüft und kontrolliert werden.
Die Bürger vor Ort blicken oft nicht mehr durch. Ganz zu schweigen von Reisenden und Investoren. Der Präsident der Deutsch-Niederländischen Handelskammer, Kurt Döhmel, warnt: "Touristen und Unternehmer aus dem Ausland müssen vor den komplizierten Regeln, Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen kapitulieren." Umweltschützer sehen in solchen Äußerungen einen sattsam bekannten Reflex der Wirtschaft. Sie verweisen auf die ersten Erfolge, die die Luftreinhalte-Zonen bereits gebracht haben sollen. "In Städten mit Umweltzonen wurden mehr alte Dieselfahrzeuge mit Partikelfiltern nachgerüstet als im Bundesdurchschnitt", erklärt Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe. Der DUH-Geschäftsführer erwartet "einen echten Verbesserungsschub" mit der "Scharfstellung" der Zonen, wenn die nur noch mit grüner Plakette befahren werden dürfen.
Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit zieht nach einem Jahr Umweltzone eine positive Bilanz: "Die Berliner Fahrzeugflotte ist sauberer geworden." So sei bei den Neuzulassungen die Zahl der Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß um 60 Prozent zurückgegangen. Und in Köln hat sich die Zahl der Tage, an denen die Grenze für Feinstaub überschritten wurde, gegenüber den Vorjahren deutlich reduziert. Allerdings wurde das Feinstaub-Problem in 2008 durch den durchwachsenen Sommer gemildert.
Bei dem winzigen Dreck ist es anders als bei der "klassischen" Luftverschmutzung. Smog konnte man sehen, Fabrikabgase ließen sich riechen. Feinstaub hingegen ist nicht zu erkennen, die Zusammenhänge sind komplex. So taugt das Thema zum Glaubenskrieg. Befürworter der Umweltzonen führen das Beispiel Atlanta an: Während der Olympischen Spiele 1996 wurde dort der Verkehr eingeschränkt. Die Luftqualität nahm zu, an Asthma erkrankten Kindern ging es plötzlich besser.
Kritiker bezeichnen die Plaketten-Zonen als puren Aktionismus, der kaum zu einer gesünderen Luft beiträgt. Sie meinen: Der Verkehr verursacht nur ein Viertel des Feinstaubs, davon machen Reifen- und Bremsabrieb die Hälfte aus. Den Gegnern macht ein Spruch des Verwaltungsgerichts Hannover von Anfang Dezember Hoffnung. Die Richter wiesen zwar Eilanträge gegen die Zone in Hannover ab, ließen aber durchblicken, dass sie die Fahrverbote für wirkungslos halten. Im März soll die Entscheidung im Hauptverfahren fallen. Das Thema dürfte also auch in 2009 viel Staub aufwirbeln.