Weser Kurier Stadtteil Mitte, 8. September 2005 online
"Koalition fehlt Bescheidenheit"
Forum diskutierte Formen des Widerstands / Engagement zwischen Erfolg und Frust
Von unserer Mitarbeiterin Karina Skwirblies
ALTSTADT. "Wer regiert hier eigentlich?" Diese Frage stellte sich ein Besucher der jüngsten Podiumsdiskussion des Forums für Wohn- und Lebensqualität. "Das Parlament ist seit der letzten Legislaturperiode ausgeschaltet, der Koalitionsausschuss hat alles beschlossen." Nicht nur das Parlament habe kein Gewicht in der Kommunalpolitik mehr, sondern auch die Meinung der Bürger werde übergangen, lautete die Kritik. Diese Auffassung vertraten mehrere Podiumsteilnehmer der Veranstaltung in der Stephani-Gemeinde. "Sich einmischen in Bremen - aber wie?" lautete die Leitfrage in der mit weniger als 100 Besuchern eher kleinen Runde. Hiltrud Lübben-Hollmann vom Forum konnte die Galeristin Katrin Rabus, die Fernsehjournalistin Silke Hellwig, Gaby-Grete Kellerhoff von der Arbeitslosenberatungsstelle der Bremischen Evangelischen Kirche, Anne Knauf, Leiterin des abgebrannten Kindertagesheims Andernacher Straße, den Betriebsratsvorsitzenden des Klinikums Bremen-Ost, Lothar Schröder, und Erich Röper von der Initiative "Keine Stadtautobahn durch Bremen" als Gäste begrüßen. Die Moderation übernahm Elke Heyduck von der Arbeitnehmerkammer. Die Erfahrungen mit aktivem Bürgerengagement sind sehr unterschiedlich. "Wir haben im Stadtteil ein breites Bündnis gefunden, deshalb haben wir Erfolg gehabt", berichtete Lothar Schröder von den Auseinandersetzungen um das Klinikum Ost. "Alle Parteien im Beirat haben sich solidarisiert." Schröder plädierte dafür, die Emotionalität und Betroffenheit der Bürger zu nutzen, um zu Aktionen und Demonstrationen aufzurufen. Anne Knauf dagegen beschrieb die Wut und Traurigkeit der Eltern im Bremer Osten, die sich bislang erfolglos für den Wiederaufbau des Kindertagesheims eingesetzt hatten. "Die Planungen liegen vor, doch seit vier Monaten wird geprüft. Wir erfahren nichts. Eigeninitiative wird gefordert, aber nicht unterstützt", kritisierte sie. Vom vergeblichen Widerstand gegen den Stadthallenumbau berichtete Katrin Rabus. "Ich habe noch Henning Scherf im Ohr", erinnerte sie sich. Ihr seid ja nur tausend, habe er gesagt. "Es wurde dann schließlich nicht sachlich entschieden", meinte Rabus und warf der Politik Arroganz gegenüber der Meinung der Bürger vor. "Der großen Koalition fehlt die Bescheidenheit. Wir dürfen nur groß denken." Die Journalistin Silke Hellwig meinte, dass Kritik in der Stadt durchaus akzeptiert werde. Die Medien könnten unabhängig berichten, so die Erfahrung der Journalistin von "buten & binnen". Dem widersprachen einige Gäste aus dem Publikum energisch. "Märchenstunde", lautete ein Zwischenruf. "Über die Vogelgrippe wird viel mehr berichtet als über die Erkrankung der Atemwege durch Feinstaub", stellte Erich Röper bedauernd fest. Man könne die Politiker unter Druck setzen, indem man gegebenenfalls auch auf die Selbstständigkeit Bremens verzichte, empfahl Röper. Er kritisierte vor allem auch die Investitionspolitik des Landes. "Die Quote ist doppelt so hoch wie woanders. Wir werden an den Investitionen sparen müssen."Über eine gemeinsame Linie in Sachen Bürgerprotest konnte sich die Runde am Ende nicht einigen. "Das mit den Massen können wir uns abschminken", sagte Gaby-Grete Kellerhoff im Ausblick auf künftige Protestaktionen. "Viele kleine Sachen sind aber auch ganz wichtig. Jeder Widerstand lohnt sich."