Kritik am faulen Kompromiss vom 2.11.2004
Pressemitteilung vom 8. November 2004
Kritik am faulen Kompromiss vom 2.11.2004 und zur Antwort Dr. Sieling an "Kleine Stadtautobahn"
Offener Brief vom 8. November 2004 an
Herrn Dr. Carsten Sieling, MdBB, Vorsitzender der SPD Bremen und
verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft
Betr: Schwachhauser Heerstraße: Statt Lobby-Interessen fördern, Allgemeinwohl durchsetzen! Warum es sich lohnt, für 2x75 cm weniger Spurbreite politisch zu kämpfen.
Sehr geehrter Herr Parteivorsitzender, lieber Herr Dr. Sieling,
die Mitstreiter in unserer BI bewerten den inzwischen auch offiziell von der Handelskammer begrüßten „Entwurf“ in Sachen Ausbau der Schwachhauser Heerstraße als faulen Kompromiss. Viele sind auch von Ihnen persönlich weithin enttäuscht, da Sie für uns der Anwalt einer verkehrsgerechten Einspurigkeit gewesen sind, was Sie auch in den Begegnungen mit uns betont haben. Demgegenüber vermag ich die Hoffnung nicht aufzugeben, dass Sie und die SPD weiter für die Ziele unserer BI streiten, weil die SPD nur durch Einsatz für das Wohl ‚kleiner Leute’ wieder an politischem Einfluss gewinnen kann.
Gestatten Sie einen kurzen Rückblick: Sie waren es, der uns im Herbst 2001 in Aussicht stellte, der Streckenabschnitt zwischen Hollerallee und Bismarckstraße könne und müsse nach seiner tatsächlichen Bedeutung im Straßenverkehrswegenetz und unter sozialen, umweltbezogenen und städtebaulichen Gesichtspunkten neu bewertet werden – und damit anders als der damals zum Ausbau anstehende Abschnitt zwischen Kurfürstenallee und Hollerallee. Dessen - ebenfalls überzogene - Ausbaudimensionen wurden ja vor allem mit der Zufahrt des Messegeländes begründet und dann auch gegen allen Widerstand durchgesetzt.
Neue Hoffnung kam auf, als in der Koalitionsvereinbarung für den Bremer Senat vom Juni 2003 für den weiteren Ausbau der Schwachhauser Heerstraße eine moderate Aussage zu lesen war. Sie ließ ein behutsames Vorgehen anklingen; an die eingehende Diskussion über die kontroversen Interpretationsmöglichkeiten der „Dreistufigkeit“ im September 2003 bei uns werden Sie sich erinnern. Die Offenlegung der Maximal-Ausbaupläne im November 2003 konnte danach nur als Provokation empfunden werden: Diese brachte nicht nur die Anwohner, sondern auch die kommunalen Beiräte über alle Parteigrenzen hinweg gegen Politiker auf, die einer planenden Behörde offensichtlich ausgeliefert sind, die ihre Bausünden der Vergangenheit heute noch als positive Errungenschaften ansieht und darüber hinaus deren möglichst ungebrochenen Übergang ins 21. Jahrhundert mit starker Lobbyunterstützung betreibt. Dies als eine Art Erfüllungsgehilfe bestimmter Wirtschaftsinteressen mit mehr oder minder großem Geschick, aber doch zielgerichtet in einem falsch verstandenem Eigeninteresse „für Straßen und Verkehr“, gegen gesamtstädtische Interessen und gegen das Wohl der Bevölkerung. Dieses Wohl zu mehren und nicht zu beeinträchtigen, ist aber doch Aufgabe aller politisch engagierten Menschen wie der gewählten Parlamentarier.
Anmerkung zum Grundsätzlichen: Das Interesse der Kfz-Lobby, neben der demnächst ausgebauten Außenumfahrung einen „dritten Weg“ mitten durch Bremen mit fast autobahnähnlichem Standard vorzuhalten, ist mir nachvollziehbar, die entsprechenden Verlautbarungen von Handelskammer, Wirtschaftssenator, ADAC usw. sind es auch stets gewesen. Eben deshalb engagieren wir uns ja als Bürger/innen dagegen:
Weil wir darin eine Gefahr für die bewohnte Stadt sehen u n d weil dieses kommerzielle Begehren die Interessen und Lebensqualität der Menschen weithin ausblendet und darüber hinweggeht. Das wird nach unserem Eindruck auf höheren Ebenen der Politik nicht oder nur sehr unzureichend wahrgenommen – im Unterschied zu den Beiräten, deren gewählte Politiker/innen sich mit Recht als Anwälte der Menschen vor Ort verstehen und die in der politischen Auseinandersetzung entsprechend mitwirken (müssten). Werden sie „überfahren“, so gilt dies auch für die Menschen, die sie vertreten. Genau dies ist nun geschehen, das dürfte kaum in Abrede zu stellen sein. Die öffentliche Bekanntgabe eines auf Senatsebene ‚abgestimmten Entwurfs’ - wenige Stunden vor dem Beratungstermin mitzuständiger Beiräte (sic!) - ist dafür wohl geradezu als beispielhaft für deren unerwünschte Mitwirkung anzusehen, was der Koalitionsvereinbarung zur stärkeren Beteiligung der Beiräte entgegensteht.
Zum aktuellen ENTWURF, wenn er denn einer ist: Der nun als „kleinere Lösung“ präsentierte Entwurf ist zwar eine abgespeckte Variante der vorgelegten Maximal-Planung, aber er schließt weiterhin das Problem nicht aus, das abgewendet werden soll: Er beinhaltet die große Tunnelaufweitung und damit die Gefahr einer Art „Stadtautobahn“, aller gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz: Eine BAB - Ost –West -Verbindungs-Trasse quer durch Bremen und fast ausschließlich durch dichtbesiedelte Wohngebiete! Die als ‚Kompromiss’ vorgestellten vier ‚kleinen Spuren’ von 5,50 m Spurbreite pro Fahrtrichtung sind nach überzeugenden verkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen dort eindeutig zuviel und unnötig. Sie schließen zudem keineswegs aus, dass der Kfz- einschließlich Lkw-Verkehr (!) zur ohnehin bereits schnellen Durchfahrt im ‚Bedarfsfall’ weiter eingeladen wird, außerdem wird damit lt. Planerläuterungsbericht die Anfahrt zu Häfen und Großmarkt verbessert, was GVZ, Hochregallager und darüber hinaus gehende Ziele einschließt. Das in Aussicht gestellte Abhalten von Lkw-Verkehr durch Herausnahme der Strecke aus dem Lkw-Führungsnetz, durch Tonnagebegrenzung, Nachtfahrverbot u.a.m. begrüßen wir zwar als überfällig, wenn es denn geschieht, aber wirklich überzeugend ist nur, Konsequenzen für einen geringeren Ausbau zu ziehen: Verbotsschilder sind schließlich in kürzester Zeit revidierbar. Mit dem vermeintlichen Kompromiss werden auch die Bausünden der Vergangenheit auf Dauer fixiert. Wer diese Fixierung kritisch sieht, der muss für eine einspurige Variante kämpfen, wie die Beiräte sie wohlbegründet fordern: Die empfohlene Spur von 4,75 m wird dem tatsächlichen und dem prognostizierten Verkehrsaufkommen gerecht, nimmt auf soziale und ökologische Belange gebührend Rücksicht und schließt negative Änderungen von heute auf morgen aus. Die einspurige, überbreite Kfz-Führung in diesem Teilstück ist zugleich Signal und Auftakt für eine menschen- und umweltgerechte Neugestaltung der Bahnhofsvorstadt durch den Rückbau der Hochstraße, die der Stadt in diesem wichtigen Innenstadtbereich verloren gegangene Lebensqualität zurückgeben könnte.
Noch geben wir die Hoffnung nicht auf, dass Sie, Herr Dr. Sieling, für eine nachweisbar menschen- und umweltgerechte Lösung streiten werden und damit die Beschlüsse Ihrer Partei vor Ort und der drei Beiräte mittragen und diese Beschlüsse durchsetzen helfen.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Knebel, zur Zeit BI-Sprecher,
Stellungnahme genehmigt vom BI-Treffen am 8.11.04 (unverzügliche Zustellung per E - Mail wegen der aktuellen Stunde zum Thema am 9.11.04 in der Bremischen Bürgerschaft)
Antwort von Dr. Carsten Sieling vom 25.11.2004 an BI "Kleine Stadtautobahn!"
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