Weser Kurier, 18. August 2005 online

Hauptsache schnell und möglichst billig

Zunehmende Klagen über immer mehr Lkw-Verkehr auf innerstädtischen Straßen /
Keine Zahlen beim Bausenator

Von unserem Redakteur Heinz Holtgrefe

BREMEN. Der Osterdeich ist nie eine ruhige Bremer Wohnstraße gewesen. Doch was Anwohnerin Petra Wessels seit einigen Monaten erlebt, geht ihr an die Nerven: "Der innerstädtische Lastwagenverkehr hat seit Einführung der Maut auf den Autobahnen gewaltig zugenommen. Der Osterdeich gehört offenbar zu den Abkürzungsstrecken durch die Stadt." Bei Vermutungen wollte es die junge Frau nicht lassen. Sie versuchte Belege für ihre Beobachtungen zu finden, zählte Fahrzeuge, notierte Kennzeichen und Firmennamen der Speditionen. Schließlich kam sie auf die Idee, mit dem Auto schweren Fahrzeugen auf den vermuteten Schleichwegen durch Bremen zu folgen. Und siehe da: Mehrere Fahrten führten praktisch mitten durch Bremen.So folgte sie einem Container-Lastzug aus Österreich mit Grazer Kennzeichen vom Autobahnzubringer Hemelingen über den Hastedter Osterdeich und den Osterdeich, über die Wilhelm-Kaisen-Brücke und die Friedrich-Ebert-Straße, schließlich über die Neuenlander Straße zum Güterverkehrszentrum. Petra Wessels: "Weshalb nimmt der Fahrer nicht die Ausfahrt Arsten und dann den direkten Weg zum GVZ?"Beispiel zwei ist noch gravierender: Ein schwerer Lkw mit Baumaterial fährt vom Allerhafen in unmittelbarer Nähe der Autobahn-Anschlussstelle Hemelingen über den Osterdeich, durch die Innenstadt und den Bremer Westen zum Gewerbegebiet an der Oslebshauser Heerstraße - nur wenige hundert Meter von der A 27 und der Anschlussstelle Industriehäfen entfernt. Die "Lkw-Fahnderin": "Da sollte wahrscheinlich die Maut gespart werden, und wir haben den Krach, den Gestank und das Gefahrenpotenzial."Für die junge Frau noch schlimmer: "Dank grüner Welle dauerte die Fahrt durch die Stadt nur 20 Minuten." Auf der Rückfahrt machte die engagierte Osterdeich-Anwohnerin die Probe aufs Exempel: Bei Tempo 100 benötigte sie von der Auffahrt Industriehäfen über die A 27, das Bremer Kreuz und die A 1 bis Hemelingen 25 Minuten. Ihr Fazit: "Der Weg durch die Stadt ist billiger und schneller."Sind die Beobachtungen von Petra Wessels ein Einzelfall? Erkenntnisse über eine Zunahme des innerstädtischen Lkw-Verkehrs nach Einführung der Maut gibt es beim Verkehrssenator nicht. Auch der ADAC hat für Bremen nach Angaben von Stefan Moeller aus der Verkehrsabteilung keine Zahlen. Der Automobilclub hat jedoch in einer bundesweiten Untersuchung festgestellt, dass überall dort, wo Straßen parallel zu den mautpflichtigen Autobahnen führen, die Zahl der "Sparkommissare am Lenkrad" dramatisch zugenommen hat.Das deckt sich mit den Beobachtungen von Fahrern beim Taxi-Ruf: "Egal ob Stromer Landstraße, Lilienthaler Heerstraße oder andere Ein- und Ausfallstraßen der Stadt - der Schwerlastverkehr hat seit Beginn der Maut stark zugenommen", sagte Wolfgang Verbeek, zweiter Vorsitzender des Taxi-Rufs.Um welche Summen geht es bei den Einsparungen? Ein Spediteur bezifferte die Mautkosten für die Fahrt von Hemelingen über das Bremer Kreuz zur Abfahrt Industriehäfen auf etwa drei bis vier Euro. Der viel wichtigere Faktor sei jedoch die Zeit, in der die Fahrer bezahlt werden müssen. Einer seiner Kollegen: "Alle, die die Maut umgehen, können nicht rechnen."Kritik aus Spediteurskreisen, die sich zum Thema sehr bedeckt hielten, kam auch an der Veröffentlichung des bremischen Lkw-Führungsnetzes durch den Bausenator: "Das ist doch die Einladung zum Weg durch die Stadt. Für Moskau oder Lyon würde uns doch auch niemand freiwillig einen Abkürzungsplan zur Verfügung stellen."Wolfgang Verbeek vom Taxi-Ruf fordert in diesem Zusammenhang, die Autobahn-Umfahrungen der großen Städte mautfrei zu lassen, wie es in Frankreich und Spanien üblich sei. Begründung: "Dann lohnt es sich auch finanziell nicht mehr, sich durch das städtische Straßennetz zu quälen." - - -

Einige hier leider nötige Anmerkungen/Fragen, die nicht zur Regel werden sollen:
Was für den Osterdeich gilt, das gilt für den unteren Abschnitt der Schwachhauser Heerstraße schon lange: Zwischen den beiden Stadtautobahnen >Kurfürstenallee< und >Hochstraße über dem Breitenweg< gelegen, erfreut sich dieser Streckenabschnitt großer Beliebtheit für Lkw-Transporte - auch wenn dieses Problem statistisch marginalisiert - rd. 3% von über 20.000 Kfz/Tag (sic!) - oder gar geleugnet wird. Beides - Marginaliserung wie Leugnen - muss mehr als bedenklich stimmen. Die offensichtlich nach wie vor dort politisch gewollte unnötige, überdimensionierte Aufweitung des Straßenquerschnitts und des Concordia - Tunnels sind dementsprechend ein Anschlag auf die Gesundheit und Lebensqualität zentraler innerstädtischer Wohnquartiere, die es zu schützen gilt!
Die Tatsache, dass die Bürgerschaftsbeschlüsse vom 9. November 2004, die vorgeblich den Lkw-Verkehr auf diesem Streckenabschnitt einschränken sollen, nicht bereits heute, sondern erst
n a c h der auf Lkw-Maße ausgerichteten Aufweitung umgesetzt werden sollen, kann wohl nur als Schildbürgerstreich oder als Verhöhnung der Anwohner/innen verstanden werden?! Das Faktum eines Lkw-Führungsnetzes für Bremen und dessen Vermarktung durch den Bausenator ist in dem Artikel bereits hinreichend gewürdigt - die angeblich nicht mögliche Herausnahme des o.a. Streckenabschnitts aus diesem mehr als fragwürdigen Machwerk spricht - in Verbindung mit den anderen Fakten - ebenfalls für sich. Der empfohlene (Durch-)Blick auf vorbildliche Regelungen in Nachbarländer kann hier nur unterstützt werden.

Anmerkung: Günter Knebel, 20.08.05