Weser Kurier, 8. April 2005 online
Londons dicke Luft wird besser
City-Maut funktioniert wesentlich reibungsloser als erwartet
Von unserem KorrespondentenFrank Herrmann
LONDON. Kein Horrorszenarium, das nicht an die Wand gemalt wurde. Was haben die Kassandra-Rufer nicht alles prophezeit, von zivilem Ungehorsam bis hin zu komplettem Chaos. Autofahrer wollten ihre Nummernschilder abschrauben, Säumige ihre Bußgeldbescheide zerreißen, Händler sahen eine Pleitewelle in den Geschäftsstraßen. Bürgermeister Ken Livingstone, der Vater der umstrittenen Idee, kündigte an, sich den Skeptikern beugen zu wollen, falls seine City-Maut doch als Flop enden sollte. Zwei Jahre lang wollte er testen, ob es praktisch funktioniert. Die sind nun um und die Kritiker leiser. Denn die anfangs heftig angefeindete Verstopfungsgebühr (Congestion Charge) erweist sich als voller Erfolg. Von einer Rücknahme ist keine Rede. Im Gegenteil, die Zone soll erweitert werden. Seit Februar 2003 beschränkt sie sich auf ein Gebiet, das im Osten von der Tower Bridge und im Westen vom Hyde Park begrenzt wird. 21 Quadratkilometer umfasst es, exakt 1,3 Prozent des Molochs Groß-London. Im nächsten Schritt, voraussichtlich 2006, soll der Maut-Sektor westwärts bis zum Szeneviertel Notting Hill ausgedehnt werden und nach Süden bis zum Themse-Ufer im noblen Chelsea. Auch die Gebühr soll steigen, von fünf auf acht Pfund pro Tag. Es war nicht die Staubbelastung die Livingstone handeln ließ. Es war der Verkehrsinfarkt in der Innenstadt. Zur Jahrtausendwende ging es um Trafalgar Square und Piccadilly langsamer voran als zu viktorianischen Zeiten in der Pferdekutsche: Auf knapp fünf Stundenkilometer war die Durchschnittsgeschwindigkeit gesunken.Nun können die Initiatoren beeindruckende Zahlenkolonnen vorweisen. Das Verkehrsaufkommen nahm um 15 Prozent ab, die Unfallrate um fünf Prozent, die Stau-Häufigkeit um ein Drittel. Man muss nicht mehr so quälend lange auf die einst chronisch verspäteten roten Doppelstock-Busse warten, und in der Stadtkasse klingelt es auch. Etwa 130 Millionen Euro im Jahr bringt die Maut ein; das Geld fließt vor allem ins Busnetz. Auch die Abgasbelastung ging zurück, um rund zwölf Prozent. Mehr als ein!
erster Ansatz ist es nicht, denn nach Athen hat die britische Metropole noch immer die schlechteste Luft aller EU-Hauptstädte. Greenpeace fordert deshalb, notorische Spritschlucker stärker zur Kasse zu bitten. Der allradgetriebene Landrover, vom Volksmund wegen seiner begüterten Besitzer auch "Chelsea Tractor" genannt, gilt als schlimmster Sünder. Geht es nach den Umweltschützern, soll jeder Landrover, der die City ansteuert, nicht fünf, sondern 20 Pfund zahlen. Automobile, die mit umweltfreundlichem Flüssiggas angetrieben werden, gehen dagegen schon jetzt mautfrei aus. Kein Wunder, dass das Londoner Modell auch anderswo Schule machen soll. Das aber ist leichter gesagt als getan. Gerade erst befragten die Stadtväter von Edinburgh ihre Bürger, ob sie eine Verstopfungsgebühr wünschen. 74 Prozent sagten Nein.