Weser Kurier Online, 07. Januar 2005

Frecher Schneider
lästert über Kanzler

(und über die Senatsplanung für den Concordia-Tunnel-Ausbau!)

Eiswette am Punkendeich lockt viele Zuschauer an
Von unserem Redakteur Heinz Holtgrefe



BREMEN. Die äußeren Bedingungen waren so gar nicht nach Eiswette: Sonne über der Weser, fast frühlingshaft grüne Osterdeichwiesen, ein munter fließender Strom. Wenn der scharfe Wind nicht gewesen wäre, hätte man fast auf März tippen können. Immerhin: Das zumindest optisch sehr freundliche Wetter lockte eine große Zuschauerschar an den Punkendeich.Doch es war erst der 6. Januar und damit seit 176 Jahren der Tag der Eiswette. Geiht die Weser oder steiht sie - dieser Frage gingen die 15 Gründungsmitglieder erstmals 1829 nach und beantworteten sie durch Steinwürfe. Plumpsten diese ins Wasser, war die Weser offen, blieben sie auf dem Eis liegen, war sie zu. Der Wettgegenstand: "Vaterländischer Brauner Kohl mit allem, was dazu gehört", hieß es damals.Gestern war die Antwort auf die Eiswettfrage so klar wie Kloßbrühe. "Die Weser geiht", teilte Eiswettpräsident Peter Braun dem wenig überraschten Publikum mit. Kein Wunder: Sämtliche vom Präsidium geworfenen Steine versanken nach jeweils einem unspektakulären "Plopp" in den Fluten.Dass es dem Schneider nicht ähnlich erging, dafür sorgte einmal mehr die "Christian", das Tochterboot des Seenotrettungskreuzers "Hermann Rudolf Meyer". Der meckernde, 99 Pfund leichte Schneider mit seinem Bügeleisen trollte sich allerdings erst, nachdem er Hohn und Spott über Politiker jeder Couleur in Bremen und Berlin verbreitet hatte.Pünktlich um 12 Uhr begann die Zeremonie mit dem Einmarsch der Akteure. Zuerst der Zeremonienmeister, dann das Präsidium mit Peter Braun an der Spitze, gefolgt von Medicus und Notarius publicus. Mögen die Perücken der beiden bei der Eiswettfeier am 15. Januar im Kongresszentrum für einen Hitzestau sorgen, gestern waren es diejenigen mit der zweckmäßigsten Kopfbedeckung. Warme Ohren garantiert.Dann die sechs Novizen mit wenig wärmenden Melonen auf den Köpfen. Damit ihnen nicht kalt wurde, legten sie die Strecke von der Deichkrone bis zur Weser im Laufschritt zurück. Am Dreikönigstag durften Baltasar, Melchior und Kaspar ebenso wenig fehlen wie der Schneid!
er - und der ließ sich wieder einmal reichlich Zeit."Der Schneider kommt", freute sich Präsident Braun reichlich voreilig. Denn statt des leibhaftigen Handwerkers gab es zunächst nur einen Brief von ihm. "Ich sage Ihnen hiermit zu, dass die Eiswette gesichert ist", hieß es darin. Klang ein bisschen nach Kanzler-Brief und sollte es auch. Der Schneider erschien dann doch noch und wurde zunächst für sein Schreiben gerüffelt. Ob er denn seine Zusage auch einhalten wolle, lautete die Frage. Der empörte 99-Pfund-Mann: "Ich bin Schneider und nicht Kanzler, wir sind ehrenwerte Leute."Dann bekamen sie alle Schlag auf Schlag ihr Fett ab: Der Rad fahrende Bürgermeister mit Rücktrittsbremse, die kmb, der "Kulturmauschelbetrieb", das Bürger-Such-Centrum BSC, Hartz IV und die Gesundheitsreform, die Suche der CDU nach einem Kanzlerkandidaten.Viel belacht auch der Vorschlag, den Concordiatunnel neun- bis zwölfspurig auszubauen und dann dort Lkw-Maut zu kassieren. Eben großspurig wie die Projekte Space Park, Botanika und Musical-Theater. Gar brausenden Applaus vom Publikum gab es, als der Schneider zwei besonders eklatante Fälle von Geldverschwendung benannte: Die Günter-Grass-Stiftung sowie den Skulpturenpark am Haus der Bürgerschaft. Herzhaft gelacht wurde schließlich auch noch über des Schneiders Bemerkungen zur CDU-Wanzenaffäre: "Manche haben einen Floh im Ohr, andere eine Wanze in der Steckdose."