BUND-Stellungnahme zur Verkehrsstudie der Handelskammer

Bremen, den 08.10.2004.


Die neue Verkehrsstudie erweist sich bei näherer Betrachtung als Eigentor für die Handelskammer Insbesondere die neuen Verkehrszählungen liefern den Gegnern eines vierspurigen Ausbaus der Schwachhauser Heerstraße viel Munition sowohl für das laufende Planfeststellungsverfahren als auch zur Untermauerung der Forderung, dass die Stadt Bremen keine Stadtautobahn durch Bremen sondern eine wohnverträgliche Stadtstraße für den Ziel- und Quellverkehr zwi-schen Hollerallee und der Innenstadt planen müsse. Der BUND Landesverband Bremen fordert eine Reduzierung der ge-sundheitsgefährdenden Schadstoffbelastungen auf der Verkehrsachse Concordiatunnel - Rembertikreisel-Hochstraße am Breitenweg. Konsequente Maßnahmen seien erforderlich, die sowohl die Anwohner entlasten als auch eine attraktive Entwicklung des Rembertiviertels ermöglichen, so BUND-Geschäftsführer Martin Rode: „Wenn die Neustadtautobahn A 281 gebaut ist, muss die Hochstraße am Breitenweg abgeris-sen werden. Da sind vierspurige Straßenplanungen zwischen Hochstraße und Hollerallee kontraproduktiv. Um dies vorzubereiten, muss jetzt schon die Verkehrsplanung auf eine Bündelung des Durchgangsverkehrs im übergeordnete Straßennetz ausgerichtet werden“.

Schadstoffmessungen belegen, dass der bei 40 Mikrogramm pro Ku-bikmeter Luft liegende EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) sowohl in der Bismarckstraße als auch in der Schwachhauser Heerstraße deutlich um 10-20% überschritten wird. Darauf zu hoffen, dass der Grenzwert in 10 Jahren durch technische Fahrzeugmaßnahmen ohne Eingriffe der Stadt eingehalten werden kann, ist ein Glücksspiel zulasten der menschlichen Gesundheit. Stattdessen muss etwas getan werden, um den Kfz-Verkehr an diesen Belastungsorten aktiv zu mindern. Die Handelskammer lässt in ihrem Gutachten diese Belastungssituation außen vor und zielt primär auf eine Optimierung des Kfz-Verkehrs. Es sei fachlich nicht nachvollziehbar, wie das Handelskammergutachten angesichts des gemessenen Verkehrsaufkommens mit der Empfehlung enden konnte, die Schwachhauser Heerstraße vierspurig auszubauen. „Vom Bedarf her ist eine solche Empfehlung nicht zu rechtfertigen“, urteilt der BUND-Verkehrsreferent Peter Müller nach eingehender fachlicher Prüfung . Der Vorschlag komme aber dem Wunsch der Handelskammer entgegen, Verkehrsstockungen auf der Schwachhauser Heerstraße selbst dann vermeiden zu wollen, wenn Werder Bremen zwei Tage vor Weihnachten ein Heimspiel hätte und der Stern durch eine Baustelle blockiert wäre. Im Handelskammergutachten wird mit keinem Wort darauf eingegangen, dass die aktuellen Verkehrserfassungen ein Beleg dafür sind, dass der Kfz-Verkehr am Concordiatunnel stark rückläufig ist. Gegen-über den 2001 vom Amt für Straßen und Verkehr durchgeführten Verkehrszählungen sind es heute bereits 1.000 bis 1.500 Kraftfahrzeuge weniger, die werktags die Schwachhauser Heerstraße nutzen und durch den Concordiatunnel fahren.

Das ist eine Verkehrsabnahme um rund 4 % in nur drei Jahren und ein Beleg dafür, dass der Verkehr auf der Schwachhauser Heerstraße wesentlich stärker abnimmt, als das bislang angenommen wurde. Statt dies zu benennen, behauptet die Handelskammer jedoch, das Verkehrsaufkommen liege nach wie vor bei bis zu 30.000 Kfz pro Tag. Wird die Schwachhauser Heerstraße tatsächlich vierspurig ausgebaut, ist die Straße dann allerdings auch attraktiver für den Autoverkehr. Infolgedessen könnte es wieder einen Verkehrszuwachs geben, der das Ziel, die Belastungen zu mindern, konterkarieren würde. Statt den real gezählten Spitzenverkehr den Empfehlungen für die Dimensionierung der Straße zugrunde zu legen, wird im Gutachten ein kompliziertes und in diesem Falle nicht praxistaugliches Berechnungs-verfahren angewendet. So wird der Kfz-Spitzenverkehr künstlich hochgerechnet. Mit Erhöhungen um 15,3% (Querschnittsbelastung), 17,7% (nur stadtauswärtige Richtung) und sogar 37,5% (nur stadteinwärtige Richtung) liegen die Berechnungsergebnisse fernab der realen Situation. Solche Berechnungsverfahren mögen der Planung optimaler Kfz-Verkehrsabläufe an Kreuzungen auch unter besonderen Verkehrsbelastungssituationen dienen, sind aber als Planungsgrundlage für die Dimensionierung einer Stadtstraße durch Wohnbereiche nicht zu gebrauchen. Im Rahmen der „Empfehlungen zur Anlage von Hauptverkehrsstraßen EAHV von 1993“ werden bestimmte Straßenbreiten und Fahrspuranzahlen in Abhängigkeit vom Verkehrsaufkommen vorgeschlagen. Im Handelskammer-Gutachten werden die EAHV 93 jedoch in mehreren Punkten fehlerhaft angewendet:

1.) Die EAHV 93 gelten für den durchschnittlichen täglichen Verkehr (DTV) und nicht für den durchschnittlichen werktäglichen Verkehr (DTVw), der im Gutachten zugrunde gelegt wird. Der DTV betrachtet den gesamten Jahresverkehr inklusive Werktagen, Ferienzeiten und Wochenenden und rechnet diesen auf den Tagesschnitt um. Im Falle der Schwach¬hauser Heerstraße ist der DTV um 4.000 Kfz pro Tag geringer als der DTVw.

2.) Die EAHV 93 wurden 1999 von der Bundesanstalt für Straßenwesen (bast) präzisiert.Für überbreite Fahrspuren werden in einer entspre-chenden Veröffentlichung 4,75 m bis maximal 5,50 m angesetzt. Letztere Breite gilt für spezielle Fälle, die auf die Schwachhauser Heerstraße aber nicht anwendbar sind.

3.) Die EAHV 93 gelten für gemessene bzw. aufgrund von Messungen und Verkehrstrends prognostizierte Kfz-Verkehrsaufkommen und nicht für hochgerechnete Bemessungsverkehrsstärken, wie sie im Handelskammer-Gutachten angewendet werden.

Hätte die Handelskammer das Gutachterbüro mit einer umfassenden Straßenplanung nach Stand der Wissenschaft unter Zugrundelegung von Verkehrsprognosen 2015 beauftragt, wären die Empfehlungen des Planungsbüros wohl anders ausgefallen, so vermutet der BUND. Der gemessene Verkehrsabnahmetrend auf der Schwachhauser Heerstraße wird sich bis 2015 fortsetzen. Maßnahmen, wie die geplanten Erweiterungen des Straßenbahnnetzes insbesondere auf den Linien 4 und 1 sowie der Bau der A 281 zwischen dem BAB-Zubringer Arsten und dem Güterverkehrszentrum werden das Verkehrsaufkommen am Concordiatunnel weiter senken. Der Trend wird sich fortsetzen und im Jahr 2015 das Kfz-Verkehrsaufkommen auf werktags 25.000 Kfz/Tag und im Jahresdurchschnitt auf 21.500 Kfz/Tag reduzieren. Für diesen Verkehr reicht eine einfache zweispurige Straße aus. Für die Übergangszeit und zur Vermeidung von Behinderungen durch einbiegende bzw. einparkende Fahrzeuge ist eine Straßendimensionierung mit zwei überbreiten Fahrspuren von je 4,75 m völlig ausreichend, zumal der Lkw-Verkehr (> 3,5 t) mit einem Kfz-Verkehrsanteil von 2,8 % nach wie vor sehr gering ist. Aufgrund des kaum vorhandenen Schwerlastverkehrsanteils ist sowohl der geplante Höhenausbau des Concordiatunnels auf 4,70 m wie auch eine Dimensionierung der überbreiten Fahrspuren auf das Maximalmaß von 5,50 m oder sogar darüber hinaus vom Bedarf her nicht gerechtfertigt. Die Schwachhauser Heerstraße wird zwischen Hollerallee und Bismarckstraße als Lkw-Route nicht angenommen und muss schon aus diesem Grund als solche umgehend aus dem Bremer Kartenmaterial des Lkw-Führungsnetzes getilgt werden.

Positiv an den Gestaltungsvorschlägen des Gutachters Theine bewertet der BUND, dass das Planungsbüro selbst bei deutlich überzogenen Fahrbahnbreiten Möglichkeiten darstellt, mehr Baumstandorte zu erhalten und Grundstückseingriffe zu minimieren, als das bei der offiziellen Planung des Amtes für Straßen und Verkehr vorgesehen ist. Nicht an-nehmbar ist indes der Vorschlag von Theine, die Haltestelle Parkallee in den Concordiatunnel zu verlegen. Das hieße die Situation von Stra-ßenbahnfahrgästen erheblich zu verschlechtern, da diese in einem verlärmten Tunnel im Zwielicht aus- und einsteigen bzw. warten müssten. Zudem müsste eine zusätzliche Ampel am Tunnel errichtet werden, um die Haltestelle erreichbar zu machen. Die vorhandene Anlage in Höhe Parkallee - Uhlandstraße muss ja erhalten bleiben, da sie eine wichtige Verbindung für Fußgänger und Radfahrer darstellt. Theine hat hier jedoch noch einen zweiten Vorschlag erarbeitet mit versetzen Haltestellen. Diese Lösung kommt den BUND-Vorstellungen nahe, da sich so Straßenraum einsparen lässt, ohne Qualitätseinbußen für den Öffentli-chen Personennahverkehr in Kauf nehmen zu müssen.

Tabelle 1: Vergleich der Zählergebnisse und Verkehrsberechnungen ASV und Theine

Vergleich

ASV 21.04.2001

Theine 16.06.2004

Theine 17.06.2004

DTVw (gezählt)

29.600 Kfz/24 h

28.150 Kfz/24 h

28.500 Kfz/24 h

DTV (ermittelt)

25.700 Kfz/24 h

24.000 Kfz/24 h

23.400 Kfz/24 h

DTV 2015 (ermittelt)

Ohne Ausbau

23.800 Kfz/24 h

Keine Angabe

Keine Angabe

DTV 2015 (ermittelt)

Mit 4-Spur-Ausbau

24.800 Kfz/24 h

Keine Angabe

Keine Angabe

Tabelle 2: Spitzenverkehrszählungen und Hochrechnungen Theine

Gutachten Theine

Mi,16.06.2004

Do,17.06.2004

Gezählte Spitzenstunde stadteinwärts

1.036 Kfz/h

1.044 Kfz/h

Gezählte Spitzenstunde stadtauswärts

1.227 Kfz/h

1.124 Kfz/h

Berechnete werktägliche Bemessungsverkehrsstärke / Maßgebende Richtung

1.442 Kfz/h

(+ 37,5% / + 17,7%)

1.402 Kfz/h

(+ 34,3% / + 24,7%)

Größte gezählte Querschnittsbelastung

2.263 Kfz/h

2.112 Kfz/h

Berechnete werktägliche Bemessungsverkehrsstärke / Querschnitt (beide Richtungen)

2.610 Kfz/h

(+ 15,3%)

2.537 Kfz/h

(+ 20,1%)

 

Tabelle 3: Empfehlungen für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen EAHV 93

Dimension

Kfz-Verkehr pro Stunde

Betrachtung

zweistreifige Fahrbahnen

1.400 – 2.200 Kfz/h

Im Querschnitt

überbreite zweistreifige Straßen

1.800 – 2.600 Kfz/h

Im Querschnitt

überbreite einstreifige Straßen

1.400 – 2.200 Kfz/h

Je Richtung

vierstreifige Fahrbahnen

1.800 – 2.600 Kfz/h

Je Richtung

 

Tabelle 4: Verkehrsabnahme 2001-2004 und Trendfortschreibung bis 2015

DTVw (durchschnittl. werktäglicher Verkehr)

Verkehrsstärke

Verkehrsabnahme

Amt für Straßen und Verkehr 2001

29.600 Kfz/24 h

 

Planungsgruppe Theine 2004 (Zählmaximum)

28.500 Kfz/24 h

- 1.100 Kfz/24 h

BUND Trendfortschreibung bis 2015

24.700 Kfz/24 h

- 3.800 Kfz/24 h

 

Rückfragen: Peter Müller, Tel. (0421) 790020, mobil 0179 1498441