Weser-Kurier 30. April 2008

Weser - Kurier / Bremer Nachrichten, 30. April 2008

Betriebe können sich freistellen lassen
Von unserem Redakteur
Michael Brandt

BREMEN. Noch sind nicht alle Detailfragen geklärt. Gestern aber traten Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne) und Wirtschaftssenator Ralf Nagel (SPD) vor die Öffentlichkeit, um ihren Kompromiss in Sachen Umweltzone zu präsentieren. Im Kern: Die Einführung wird, wie berichtet, verschoben. Und Firmen bekommen für ihre Fahrzeugflotten ein Ausnahme-Angebot.

Ab 1. Januar 2009 sollen nur noch Personen- und Lastwagen in die Umweltzone fahren dürfen, die wenigstens eine rote Plakette haben. Anfang 2010 tritt die nächste Stufe in Kraft, dann muss es für die Autos mindestens gelb sein. Und ab dem 1. Juli 2011 ist dann ein grüner Aufkleber hinter der Windschutzscheibe Pflicht. "Sozusagen Endstufe", wie es Loske gestern formulierte. Das Umweltzonen-Gesetz ist zunächst bis 2015 befristet. Loske hält es aber durchaus für möglich, dass in diesem Zeitraum die Grenzwerte der EU verschärft werden könnten.
Firmen können sich von der Umweltzonen-Regelung freistellen lassen. Dazu müssen sich die Unternehmen allerdings vertraglich verpflichten, ihre Fahrzeugflotte in einem festgelegten Zeitraum zu erneuern. Das Angebot gilt für Betriebe mit mindestens vier Wagen. Sowohl Loske als auch Nagel begrüßten gestern diesen Schritt. Loske sprach von einem "dauerhaft guten Lenkungseffekt". Details dazu sollen allerdings noch an den kommenden Tagen ausgearbeitet werden. Darüber hinaus ist gestern eine Härtefallregelung für Privatpersonen angekündigt worden.
Bisher sollte die Innenstadt für Fahrzeuge, die nicht den Anforderungen der Umweltzone entsprechen, über die Bürgerweide und die Parkhäuser VHS und Theater erreichbar bleiben. Nach dem Kompromiss von Montagabend soll nun das Parkhaus Pressehaus über den Straßenzug Osterdeich/Martinistraße/Faulenstraße uneingeschränkt angefahren werden können, befristet bis Mitte 2011.
Dabei soll es - die Klarstellung kam gestern Nachmittag - nicht zwingend notwendig sein, ins Parkhaus zu fahren. Der Passus hatte für Verwirrung gesorgt. Denn Loske war vormittags noch davon ausgegangen, dass Nutzer der Strecke direkt das Parkhaus ansteuern und dass dies im Zweifelsfall auch kontrolliert werden müsste.

Die CDU sieht im Beschluss der Koalition einen faulen Kompromiss. Dieter Focke, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, bezeichnete gestern in einer Erklärung die Ankündigungen als "unlogisch, bürokratisch, kompliziert und überflüssig". Der Streit zwischen Senator Nagel und Senator Loske habe die Bürger und die Wirtschaft verunsichert. Die FDP fürchtet, dass die Umweltzone "ein bürokratisches Ungetüm" wird.
Aus Sicht der Handelskammer weist der Senatskompromiss zwar "einige Verbesserungen" gegenüber dem bisherigen Stand auf, insgesamt sieht die Kammer den Entwurf aber als unbefriedigend an. Problematisch sei zum Beispiel, dass die Neustadt mit ihren Produktionsstandorten weiterhin Teil der Umweltzone bleiben soll. So sieht die Kammer noch "erheblichen Klärungsbedarf".


WK -Kommentar von Michael Brandt:

Gesichtsverlust für alle

Die Koalitionsspitzen haben den Kompromiss tatsächlich geschafft. Das ist die gute Nachricht. Die beteiligten Senatoren, der Bürgermeister, die Senatskanzlei und die Fraktionen haben allerdings ein kompliziertes Regelwerk in Sachen Umweltzone gebastelt, das sich im Nachhinein als schwer verdaulich erweisen könnte. Bereits gestern waren erste Korrekturen notwendig - das lässt Böses für die kommenden Wochen ahnen. Was nach der spätabendlichen Verhandlungsrunde im Rathaus von der vormals strikten Umweltzone übrig geblieben ist, ist löcherig wie ein Schweizer Käse. Bestes Beispiel: Mit der Herausnahme des Straßenzuges Martinistraße/Osterdeich hat die Koalition eine Einfallstraße für alle die Luftverpester geschaffen, die eigentlich ausgeschlossen werden sollten. Hickhack, öffentliche Rempler, verdeckte Aktionen gegen Senatoren - unter dem Strich macht das verbissene Ringen um die Umweltzone die gesamte rotgrüne Regierung zum Verlierer. Dass es die Koalitionsspitzen nicht hinbekommen haben, ein simples Thema wie die Einrichtung einer Umweltzone einigermaßen anständig abzuwickeln, geht mit einem Gesichtsverlust für die Regierungsmannschaft einher. Wie immer, wenn man sich auf Krampf einigt: Das Ergebnis ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Die Umweltzone ist jetzt weder ein extistenzbedrohendes Ungetüm für die Betriebe noch ein wirksames Instrument zur Reduzierung der Feinstaubbelastung. Was am Ende bleibt, ist pure Bürokratie.