Stellungnahme der BI zum Schreiben von Staatsrat Logemann

Stellungnahme der Bürgerinitiative (BI) "Keine Stadtautobahn durch Bremen!
vom 27.12.2000 zum Schreiben von Staatsrat Fritz Logemann
Tischvorlage für BI-Gespräche mit VertreterInnen der Fraktionen der Beiräte Schwachhausen, Mitte und Östliche Vorstadt

Eine allgemeine Vorbemerkung zum aktuellen Diskussionsstand betreffend Verkehrsplanung, Nachhaltigkeit im Verkehrswesen und Mobilitätsplanung, insbesondere Reduktionsstrategien für regionale Verkehrsaufkommen, erscheint uns nötig. Denn die vorgelegten Planungen, z.B. der Bericht zur Umgestaltung des Straßenzuges Dobbenweg-Schwachhauser Heerstraße vom April 2000, erscheinen uns diesbezüglich defizitär. Wir nehmen dabei Bezug auf den Artikel von Robert Schnüll, Zielorientierte Mobilitätsplanung als Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswesen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte - Beilage zur Wochenzeitund DAS PARLAMENT, 3. November 2000, S. 18-28, insbes. Abb. 2 (S.21).

Eine umwelt- und stadtverträgliche Verkehrspolitik geht danach heute von folgenden Ansätzen aus:
Vermeidung motorisierten Individualverkehrs (MIV) durch:

* Schaffung verkehrsvermeidender Raumstrukturen
* Stadt der kurzen Wege
* Mischungsnutzung
* Stärkung von Grund- und Mittelzentren durch dezentrale Konzentration
* Kostenechte Preisgestaltung im individuellen MIV
* Selbstregulierung individueller Kfz-Mobilität über angemessene Kosten.

Verlagerung des MIV durch:

* Förderung des ÖPNV
* Förderung des Radverkehrs
* Förderung des Fußgängerverkehrs
* Einschränkung des Angebots für den Autoverkehr (Fahrraum- und Stellplatzrestriktionen).

Nutzungsverträglichkeit des MIV durch:

* Flächenhafte Verkehrsberuhigung
* Städtebauliche Integration innerörtlicher Hauptverkehrsstraßen
* Schaffung autofreier/autoarmer Bereiche (Verlagerungsstrategien)
* Fahrraum- und Parkraummanagement
* Lieferverkehrs- und Citylogistik
* Verkehrsberuhigung im Kopf.

Erinnert wird zusätzlich an den "Bericht der Sachverständigenkommission zur Untersuchung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden" von 1965, der u.a. Folgendes beinhaltet:

"Die große Zahl von Berufstätigen muss zu den vor allem im Stadtkern auf engem Raum unterge-brachten Arbeitstsstätten vorwiegend mit Verkehrsmitteln befördert werden, die wenig Raum bean-spruchen und keinen Parkbedarf in der Innenstadt haben. Nur die öffentlichen Verkehrsmittel erfüllen diese Voraussetzungen...Es muss erreicht werden, daß die Beschäftigten künftig darauf verzichten, den eigenen Kraftwagen für den Berufsverkehr zu benutzen. Dazu müssen die öffentlichen Ver-kehrsmittel so anziehend wie möglich gestaltet und betrieben werden. Dies setzt eine zielbewußte Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs voraus...Die Öffentlichkeit wird sich der Erkenntnis nicht verschließen dürfen, dass der Verkehr mit dem Kraftwagen in den Innenstädten auf die Dauer nur gewährleistetet werden kann, wenn er nicht uneingeschränkt weiterwächst. Nur dadurch, dass die gegenwärtigen und künftigen Kraftwagenbenutzer davon absehen, von ihren Fahrzeugen jederzeit und überall Gebrauch zu machen, wird es ihnen möglich bleiben, ihren Kraftwagen dann und dort zu nut-zen, wo sie (wirklich) darauf angewiesen sind..."

So weit diese - leider nötige - Vorbemerkung. Daran schließt unsere Positionierung zu dem aktuellen Bauvorhaben an.

Aus Gründen der Vermeidung, der Verlagerung und der Nutzungsverträglichkeit des motorisierten Individualverkehrs begrüßt unsere Bürgerinitiative"Keine Stadtautobahn durch Bremen!" ausdrücklich das Vorhaben, der Straßenbahnlinie 4 einen eigenen Gleiskörper zu schaffen und dessen Verlängerung bis nach Borgfeld oder über die Landesgrenze hinaus anzustreben. Dadurch kann das Aufkommen an Berufsverkehr im o.a. Sinne vermieden bzw. reduziert werden. Die BI engagiert sich aus den gleichen Gründen ebenso dafür, daß eine Fortsetzung einspurigen Verkehrsführung der Schwachhauser Heerstraße von der Einmündung Kurfürstenallee bis zur Kreuzung mit der Bismarckstraße stattfindet. Dadurch kann der Fahrraum für den MIV und den Schwerlastverkehr auf dieser Strecke auf ein mitweltgerechtes Minimum beschränkt werden.

Folgende Punkte der Argumentation, mit der Herr Staatsrat Fritz Logemann die Kritik der drei Ortsamtsbeiräte zurückweist, sind aus unserer Sicht äußerst fragwürdig und bedürfen der Diskussion:

  1. Eine "Zweispurigkeit in diesem Streckenabschnitt" ist weder geboten, noch vernünftig. Ganz im Gegenteil: Sie würde unnötigen Fahrraum für einen Verkehrsfluß schaffen, der unter den heutigen Bedingungen unterhalb der Zweispurigkeit problemlos bewältigt werden kann: Wenige Meter nach Einmündung der Kurfürstenalle erfolgt eine Aufteilung der von dort eintreffenden Verkehrsströme in Richtung Hollerallee/Stern und Zentrum, die jede Erweiterung des Straßenquerschnitts überflüssig macht.
  2. Die beabsichtigte Aufweitung des Straßenquerschnitts führt weder zu einer "annähernd gleichbleibenden Verkehrsbelastung", noch wird durch sie eine Verbesserung für den nicht motorisierten Individualverkehr erreicht: Vergrößerte Aufstellflächen für Kfz führen zu höherer Verkehrsbelastung und der querende Rad- und Fußgängerverkehr hat längere Wegstrecken zurückzulegen und zusätzlich eine hochgelegte ÖPNV-Trasse zu überwinden. Mehr Grünzeiten dafür an den Lichtsignalanlagen wären eine notwendige Folge aus Gründen der Verkehrssicherheit, sie als "Verbesserung" darzustellen, ist Augenwischerei.
  3. Die "Notwendigkeit" einer Erhöhung des Concordia-Tunnels auf die lichte Höhe von 4,50 m ist ebenfalls nicht einsichtig: Schon heute können alle nach STVZO zulässigen Fahrzeuge das Bauwerk unterfahren. Seit die - von unserer BI aus gegebenen Anlässen geforderten - Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden sind, haben sich dort keine Unfälle mehr ereignet. Eine Erhöhung des Tunnels könnte nur als Einladung des Schwerlastverkehrs mißverstanden werden, diese innerstädtische Fahrtroute anstelle der vorhandenen Außenumfahrung zum GVZ zu nutzen. Das wäre ein Beitrag zur Stadtteilzerstörung und das Gegenteil der - lt. eigener Auskunft angestrebten - "rückläufigen Entwicklung der LKW-Belastung" auf dieser Straße. Zweifel an der Ehrlichkeit dieser Aussage weckt der Absatz (Seite 3 oben), der die planerische Festschreibung einer Höhenbegrenzung ablehnt!
  4. Die vorgebliche Verbesserung des Gesamtverkehrs durch die geplanten Maßnahmen ist überflüssig, da a) der ÖPNV an dieser Stelle störungsfrei abgewickelt wird, b) gelegentli-che Kfz-Staus nur in Spitzenverkehrszeiten und kreuzungsbedingt (sic!) auftreten, also unabhängig vom Straßenquerschnitt sind, c) die Situation für Fußgänger und Radfahrer wird durch eine Verbreiterung des Straßenquerschnitts nicht verbessert, sondern verschlechtert und d) auch die Kunden- und Lieferverkehre bereits derzeit problemlos erfol-gen.
  5. Wer die vorgestellte Neudimensionierung der Kreuzung Bismarckstraße/Schwachhauser Heerstraße als "städtebauliche Arrondierung" und als "Rückbau von Verkehrsflächen" bewertet, muß schon die gigantonomischen Maßstäbe der Planungen der 60er/70er Jahre (Mozarttrasse) zugrunde legen, um zu einer solchen Bewertung zu kommen. Bisher ist nur eine Vermehrung und keinerlei Rückbau von Verkehrsflächen für den MIV zu erkennen!
  6. "Dass im Tunnel zwei Kfz-Spuren unverzichtbar sind" wird damit begründet, dass ÖPNV und Kfz nicht auf der gleichen Spur abgewickelt werden können. Neben der angestrebten eigenen Trasse für den ÖPNV, sollte künftig stadteinwärts wie stadtauswärts - wie im oberen Verlauf der Schwachhauser Heerstraße von der Kirchbachstraße bis zur Marcusallee - eine Fahrspur für den MIV verlaufen, so dass dieses Problem gar nicht auftreten kann: Weder im Tunnel, noch davor oder dahinter. Die Begründung ist sachlich falsch und soll offenbar nur über den berechtigten Einwand gegen die Überdimensionierung des Brückenbauwerks hinwegtäuschen.
  7. Die Angaben zur Finanzierung des Bauvorhabens sind für uns SteuerbürgerInnen weithin undurchschaubar. Sie sind aber insoweit von Bedeutung, als es um die Verhinderung von überflüssigen oder überzogenen Baumaßnahmen geht: Denn unser Geld wird in jedem Fall verbaut, egal ob die Finanzierung aus den Steuergeldern des Landes oder des Bundes geschieht. Bisher haben wir den Eindruck, daß die vorgetragene Argumentation - die Fragen zu den bestehenden vertraglichen Verpflichtungen unbeantwortet läßt - lediglich dazu dienen soll, den Trägern kommunaler Belange und den landespolitischen Instanzen zu suggerieren, die sogenannte Nullvariante sei "der teurere Weg" für Bremen gegenüber einem zig-millionenschweren Großbaustellenvorhaben, dessen Kosten alle SteuerbürgerInnen tragen müssen.

Abschließend betonen wir noch einmal, daß nach unserem Eindruck die vorgelegte Ausbauplanung den heutigen Standards der Verkehrsplanung nicht gerecht wird und gegen viele der eingangs aufgeführten Kriterien verstößt. Im Hinblick auf die gigantische Dimensionierung erkennen wir bisher keinen Unterschied zu den bereits vor zwölf Jahren vorgelegten Planun-gen. Auch die Daten der Verkehrszählungen von 1996, deren Aktualität durch die positiven Veränderungen beim ÖPNV (Einrichtung der Linie 4 mit eigener Trasse bis Horn) und der Reduzierung der Verkehrsfläche für den MIV im oberen Verlauf der Schwachhauser Heer-straße bezweifelt werden kann, ergeben keine hinreichende Rechtfertigung für diese Dimensi-onierung. Auf absolutes Unverständnis stößt, daß für die Erweiterung der Verkehrsflä-che für Autos Grundeigentum enteignet und Bäume gefällt werden sollen.

Wir wenden uns deshalb gegen ein überzogenes Großbauvorhaben, das Umwelt und Lebensqualität in diesem Wohnbereich auf Dauer erheblich beeinträchtigen wird. Wir werden das nicht widerspruchslos hinnehmen!

 

Bremen, den 27. Dezember 2000